ASB Magazin: Die Ausgabe zum Mauerfall

Aktuelles Erster ASB-Ortsverband in der DDR gegründet D ie Treppe ist eng und steil. Das Wohnzimmer im ersten Stock des alten Stadthauses an der Glewiner Straße 3 dagegen geräumig und sehr gemütlich. Dort haben 16 Männer und·Frauen an der von Jürgen und SybilleWangerin aus drei Tischen zusammengestell- an Tafel Platz genommen. Dar– . ü f steht reichlich selbstgebak– kener Kuchen, und die Kanne mit heißem Kaffee macht unab– lässig die Runde. Es ist eine bunt zusammengewürfelte Runde: Maurer, Tischler, Verwaltungs– angesteIlte, zwei Kindergärtne– rinnen, ein selbständiger Hand– werksmeister und ein Student aus der DDR sowie ein Finanz– beamter, ASB-Rettungssanitäter und ehrenamtliche Helfer samt Geschäftsführer aus Bad Oldes– loe, dazu ein amtierender Mini– ster aus der Bundesrepublik. Aber Schleswig-HolsteinsJustiz– minister Dr. Klaus Klingner ist an diesem Nachmittag nicht als Po– litiker, sondern als Präsident des Arbe iter-Samariter-Bundes sei– "~·s Landes zum deutsch-deut- .hen Treffen nach Güstrow ge– fahren. Alle haben das gemeinsame Ziel, dem überlasteten staatli– chen Rettungswesen im Kreis Güstrow einen gemeinnützigen Hilfsdienst an die Seite zu stellen. Kennengelernt hatten sie sich im Dezember vergangenen Jahres in Bad Oldesloe. Mit defektem Wartburg-Pkw waren die Gü– strower zum ASB geschleppt worden , Dort hatte man ihnen kostenlos ihr Auto repariert. Der ehrenamtliche Einsatz hatte sie beeindruckt. Bei einem zweiten B.esuch an der Trave hatten sie dann den Wunsch geäußert, die Stormarner mögen ihnen hel– fen, einen eigenen Ortsverband zu gründen . Bei Geschäftsführer Johann Hinrich Vollstedt fanden sie offene Ohren . Wie nötig die im Umbruch be– findliche DDR Hilfe braucht, Güsti'ow/ Bad Oldesloe. - In der DDR gibt es seit dem 27. Januar 1990 wieder den Arbeiter-Samariter-Bund. 45 Jahre mich dem Ende des Zweiten Weltkrieges gründeten drei Frauen und vier Männer in Güstrow (Mecklenburg) den ersten Ortsverband, 130 Kilometer jenseits des durchlässig gewordenen »Eisernen Vorhangs« , Ein Wohnzimmer in Cüstrow (DDR): Der erste ASB-Ortsverband wurde hier am 27. Januar 7990 gegründet. Foto: C. Vogel das hören die Stormarner auch, als sie später im Kreiskranken– haus Güstrow ein gespendetes Röntgengerät, Betten, Rollstüh– le, Medikamente und medizini– sche Einwegartikel abliefern. Eine ganze Abteilung der 500- Betten-Klinik sei stillgelegt wor– den, und täglich entscheide sich neu, wie viele Betten belegt wer– den können. Das berichtet Hart– mut Hoffmann, der Stellvertreter des Direktors, während eines Frühstücks in der Personalkanti– neo Und wenn nicht 15 Soldaten der Nationalen Volksarmee ihre zivilen Kollegen beim Braun– kohleschippen an der vö llig ver– alteten Zentralheizung unter– stützen würden, gäbe es auch kein heißes Wasser und keine warmen Zimmer mehr. Überall fehlen die in den Westen über– gesiedelten Ärzte, Schwestern und Hilfskräfte. Das haben längst auch Sybille Wangerin und Monika Herter festgestellt und ihren Ehepart– nern und Freunden berichtet. Die beiden Frauen sind in der Verwaltung des Kreisärztlichen Dienstes beschäftigt und erle- ben täglich, wo es Probleme im Gesundheitswesen gibt. Und so geht es schneller als erwartet an diesem deutsch– deutschen Nachmittag. Auf der vom ÄSB-Stormarn gespende– ten elektrischen Schreibmaschi– ne tippt Sybille Wangerin im KindEnimmer eine Gründungs– urkunde. Die vier Punkte des Dokumentes hatte der ASB-Prä– sident aus Schleswig-Holstein zuvor handschriftlich formu– liert. Dem neuen Ortsverband Gü– strow beitreten kann jeder, ·der in der Stadt Güstrow oder im Kreis Güstrow wohnt und ande– ren Menschen helfen wi ll . Die Mitglieder wo llen ehren– amtlich im Rettungs- und Sozial– dienst arbeiten und sich deshalb zur Hilfeleistung in Not- und Unglücksfällen ausbilden las– sen. Das ist der wichtigste der insgesamt vier Paragraphen auf dem von allen sieben Grün– dungsmitgliedern unterzeichne– ten Dokument. Zum Vorsitzen– den wird Jürgen Wangerin be– stimmt, Erhardt Steinbrinck ist stellvertretender Vorsitzender, Monika Herter Schriftführerin . Einen Durchschlag des Schrift– stücks bekommt der Bürgermei– ster GÜstrows. Der muß auch entscheiden, ob der junge Ver– ein wenige Wochen vor den er– sten freien Wahlen die richtigen Startchancen bekommt: eine Bleibe. Das Büro im ersten Stock des alten Amtsgerichtes an der Domstraße Nr. 10 sowie zwei Garagen im Hof sind noch frei, nachdem SPD und Neues Forum dort eingezogen sind! Eine weitere Kopie der Urkunde erhalten die Gäste aus West– deutschland. Denn die wollen dem jungen Ortsverband als Pa– ten auch weiterhin helfen. Ne– ben der bereits .mitgebrachten Ausrüstung wie einem Fotoko– pierer, der Schreibmaschine, ei– nem Verbandskasten mit Beat– mungsbeutel und Luftkammer– schienen, zwei Sanitätstaschen, Aktenordnern sowie Papier, Briefumschlägen und Kugel– schreibern möchten sie schon bald Büromöbel, Notbetten und ein Fahrzeug nach Güstrow bringen. Außerdem soll ein er– ster San itätskursus angeboten werden. Und auch ein Kleinbus soll möglichst schnell gespendet werden, denn, so Johan n Hin– rich Vollstedt: »Der Schriftzug >ASB" geklebt auf eine Autotür, kann gleich für unsere Arbeit werben.« CLAUSVOGEL Vor 1933 hat es in der DDR 544 ASB-Ortsverbände ge– geben. Mari darf gespannt sein, wie viele davon wieder reaktiviert werden. Bisher haben ASB-Neugründungen in der DDR in den Städten Güstrow, Lübstorf, Banzkow und Görlitz stattgefunden. Der ASB ist dabei, weitere entsprechende Kontakte neu zu knüpfen und in verschie– denen Orten ASB-Stütz– punkte zu gründen, um dem Gesundheitswesen in der DDR wieder auf die Beine zu helfen. 5

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