ASB Magazin: Die Ausgabe zum Mauerfall

Cerd C. vermißt seine Freunde. Gert C. (29) kommt aus Dres– den. Er hat mit seiner Frau und seinen beiden Kindern im Alter von zehn und anderthalb jah– ren am 3. November letz ten jahres die DDR verlassen. Der Ausreisean trag, vor drei jahren gestellt, war endlich bewilligt worden. Wegen angeblicher Provokationen bei einer De– monstration war Gert G. zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt wor– den. Die Familie ist dankbar, daß sie beim ASB einen Raum Rosemarie C. (59), Frührent– nerin ist mit ihren beiden er– wachsenen Töchtern und ih– rem Enkel Mike (6) eben ange– kommen. Die beiden Töchter suchen Arbeit in einer Fabrik. "Wir hatten sowieso nichts zu verlieren «, meint sie. Der Rest der Familie, ihr Sohn und die dritte Tochter, sind "drüben « geblieben. Zufrieden sehen sie aus. "Der Kleine hat schon un– heimlich viel geschenkt be– kommen, und hier fällt das Schlangestehen wenigstens weg. « Sie sind seit drei Tagen in der BRD und hoffen, daß es ihnen hier wirtschaftlich bes– ser gehen wird. "Die Kinder– kleidung wurde so teuer, daß man mit einem Verdienst von 600 DM nicht mehr zurecht– kam«, so die junge Mutter. für sich allein haben kann. Gert C. ist Kraftfahrzeugelek– triker, seine Frau Kranken– schwester. Beide erhalten Ar– beitslosengeld. Ihre persönli– chen Sachen können sie nach– kommen lassen, wenn sie eine Wohnung gefunden haben. Freunde lassen sie ' zurück. Doch die ersten Kontakte ha– ben sie auch schon geknüpft: eine Familie aus Bremen lädt sie manchmal zu Besuchen ein. gen. Aber auch andere Proble– me existieren: Miteinander auf engem Raum leben bedeutet, sich z. B. über Sauberkeit, Lärm– belästigung usw. einigen zu können. In einem »Gästehaus« wird daher eine Einwohnerver– sammlung abgehalten, die ver– sucht, Probleme untereinander zu regeln - demokratisches Ver– halten im Alltag. Nicht alle kom– men hier klar: Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot führen auch bei einigen zum Alkoholmiß– brauch. Nicht so bei jungen Fa– milien und Paaren, die viel auf sich genommen haben, um sich hier eine neue Existenz aufzu– bauen - gefährdet sind eher je– ne, die alleinstehend sind und mit zu hohen Erwartungen mit dem großen Ansturm im No– vembe r gekommen sind . Die Überbrückungshilfe von 200 DM reicht nicht weit, da ent– steht aus der anfänglichen Eu– phorie bei einigen bald Enttäu– schung und Unzufriedenheit. Die Bundesrepublik und die Wohlfahrtsorganisationen hel– fen bei den ersten, mühsamen Schritten in ein neues Leben. Gleichwohl müssen die Über– siedler aus der DDR ganz von Reportage Hans B. (35) sitzt deprimiert im ASB-Cafe und wartet dar– auf, daß sein Name aufgeru– fen wird. Er ist alleinstehend. In der DDR verbüßte er eine zweieinhalbmonatige Haft– strafe wegen "Widerstand gegen die Staatsgewalt« auf einer Demonstration in Leip– zig am 9. Oktober. Er hatte schon vor längerer Zeit einen Ausreiseantrag gestellt. Hans B. ist zuerst nach Nieder– sachsen gegangen, dort hat er Verwandte. Doch es hat Ärger gegeben, nun steht er auf der Straße und hofft auf ein Bett im Übergangswohn– heim. "Ich hatte andere Vor– stellungen, als ich rüberkam. Den Bürokratismus hier fin– de ich nicht gut. « vorne anfangen. Sie müssen sich in einer neuen Umgebung mit neuen Lebensumständen zu– rechtfinden - dies ist nicht im– mer leicht. Die Betreuungsinitia– tive der engagierten ASB-Mitar– beiterinnen und Zivildienstlei– stenden in Bremen-Nord leistet dabei eine w ichtige (Start-)H ilfe. RITA HUPPERTZ » Wir schaffen das schon!« Rosemarie C. (links) und ihre Familie sind zuversichtlich. Alle Fotos: R. Huppertz 7

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