ASB Magazin: Die Ausgabe zum Mauerfall
»Wenn die 20 Monate schon nichts für den Beruf bringen, dann soll die Zeit wenigstens nicht sinnlos vertan sein« Beim UlmerArbeiter-Samariter-Bund sind 100 Zivildienstleistende in der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuungbeschäftigt 11 7 der 632 Zivildienstleisten– den in Ulm sind in der Individu– _ en Schwe rstbehindertenbe– . uung (ISB) tätig, davon allein 100 beim Arbeiter-Samariter- Bund. Ihr job - häufig aus dem Schutz raum Schule heraus ein Spru ng ins kalte Wasser - ist alles andere als ein Zucker– schiecken. Die Tätigkeit, die die Zivis 20 Monate lang zu verrich– ten haben, orientiert sich jeweils an den individuellen Bedürf– nissen der von ihnen versorg– ten Behinderten. Der Behinde– rungsgrad oder das Krankheits– bild geben die Marschroute vor. Christof ist einer dieser Zivil– dienstleistenden. Warum er sich für den mitunter harten Dienst in der ISB entschieden hat, drückt er so aus: »Wenn die 20 Monate ~h on nichts für den Beruf brin– W n, dann soll die Zeit wenig– stens nicht sinnlos vertan sein .« Der 25 jahre alte Hans F. sucht sich seine Zivildienstleistenden selber aus. Hans F. ist Roll stuhl– fa hrer. Die Zivis sollen ihm da– bei helfen, sein Leben nach sei– nen Vorste llungen zu gestalten. Da kommt es darauf an, daß er mit ihnen klarkommt, daß sich beide Seiten miteinander ve rste– hen. Sich von einem Zivi vor– schreiben lassen, was er zu tun und was er zu lassen hat, kommt für ihn nicht in die Tüte. Sein ganzes Leben hat er in verschie– denen Behindertenheimen zu– gebracht, abgeschnitten »vom" Leben draußen«, w ie er das nennt. Die Aufgabe des Zivi bei Hans Fischer ist damit klar umrissen: Er muß sich im Falle eines Fal– les zurücknehmen können und Hans akzeptieren w ie er ist. Als Basis bleibt die Rolle des Zivi ~'1~ ••• "" ;,. ~ .\.... . :~ . '.'" .- "~ Sie machen alles gemeinsam: ))Zivi" Christof hilft auch beim Kochen und Einkaufen. Fotos: Volkmar Könneke beschränkt auf die eines Funk– tionsträgers, der körperliche Einschränkungen ausgleichen hilft. Auf dieser Basis kann sich dann ~ in freundschaftliches Ve r– hältnis entw ickeln, auf das Hans allerdings gesteigerten Wert legt: »Ich w ill nicht den Chef raushängen lassen«, sagt er. Hans hat eine eindeutige Erwa r– tungshaltung gegenüber seinen Zivis. Bis auf den Umstand, daß er wegen einer angeborenen Querschnittslähmung im Roll– stuhl sitzt, sei er körperlich fit. Die wenige Arbeit, die für die Zivis in seinem Haushalt anfällt, w ill er daher ordentlich erledigt w issen. Aufrichtigkeit ist ihm Wichtig und daß ein Zivi nicht über ihn tratscht. Schließlich wa ren seine ersten Zivis auch seine ersten sozialen Kontakte hier in Ulm, als er sich 1988 aus einem Rehabilitation sheim in Isny heraus nach Ulm-Söflingen ve rselbständigte. M ittlerweile hat er über seine Zivis eine gan– ze Menge anderer Leute ken– nengelernt. »Wenn ich mit ei– nem meiner Zivis in die Stadt ziehe, bekomme ich leichte r Kontakt, als wenn ich alleine unte rwegs wä re.« Diese Sicher– heit brauchte er einfach noch. Christof, der in dieser Woche bei Hans täglich zwölf Stunden lang Urlaubsvertretung macht für dessen »feste« Zivis Stefan und M ichael, kann sich nach den ersten drei Tagen Dienst bei Hans nicht bekl agen: » Ich hab' hier nicht das Gefühl, daß ich Soziale Dienste der Zivi bin und Hans mein Boß.« Im nächsten Satz liefert er die Erklärung dafür, wa rum das so ist : » Ich muß eben selber gucken, was es in der Wohnung zu machen gibt.« Das gute Verhältnis, das Hans Fischer mit seinen Zivis pflegt, ist nicht die Regel - wie es über– haupt in der ISB keine Regeln gibt. Die 100 Zivildienstleisten– den des ASB sind bei ganz ve r– schiedenen Menschen mit un– terschiedlichen Krankheitsb il– dern im Einsatz: Individuell ve r– sorgt werden müssen Menschen mit Nierentumoren, Quer- schnittslähmungen, Gelenk- rheuma, Stoffwechselerkran- kungen (multiple Sklerose), Schädel-Hirn-Traumata, Rük– kenmarktumoren, Pa rki nson, schlaganfa llbedingten Lähmun– gen sowie Blinde und Beinam– putierte. Die Aufgaben sind mannigfaltig: Abführen, Urinal– kondom kleben, Baden und Duschen, Hautpflege, nachts mehrfac h Umlagern , Essen rei– chen, Zigarette halten, Fahr– dienste oder Hilfen im Freizeit– bereich. je nachdem, wie die Kli enten des ASB mit ihrer Krankheit oder ihrer Behinde– rung umzugehen gelernt haben, ist der Dienst mehr oder wen iger belastend . Es gibt Fä lle, wo Zivildienstl eistende Illonatlich ausgewechselt we rden müssen, we il sie der psychischen Bela– stung nicht gewachsen sind, sie mitunter regelrecht verschlissen werden. So unterschiedlich w ie die Ein– satzstellen der Zivildienstl eisten– den in der ISB, so ve rschieden sind auch ihre Arbeitszeiten : montags bi s freitags jeweils acht Stunden am Tag, oder zehn bis zu zwölf, bei entsprechendem Freizeitausgleich. Christof arbei– tet beispielsweise sieben Tage lang jeweils zwölf Stunden und bekomlllt anschließend eine Woche frei. Kompaktes Arbe iten, berechen– bare Freizeiten - die allerdings nach diesen Einsätzen auch nö– tig sind. Keine leichte Aufgabe. jOACHIM DEGE 9
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