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ASB MAGAZIN
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Inklusion wird gerne für Bildung, Freizeit und Kultur ge-
fordert. Aber ist sie auch für Menschen mit schweren kör-
perlichen und geistigen Behinderungen in der Arbeitswelt
möglich? Die Tagesförderstätte des ASB Bremen zeigt,
dass es geht. Und vor allem: Es ist ein großer Gewinn für
die Besucher und die Mitarbeiter der Einrichtung.
Selten sieht man so freudige Ge-
sichter bei Menschen auf dem Weg
zur Arbeit. Anand Bodhi* reckt tri-
umphierend beide Daumen hoch,
Simone Stein* strahlt, als hätte sie
heute Geburtstag, und auch Julia
Delmenhorst* freut sich. „Am liebs-
ten arbeite ich. Ich brauche die Ab-
wechslung”, erklärt die junge Frau.
Die drei fahren mit dem Bus der
Linie 37 durch den Bremer Stadtteil
Osterholz. Begleitet werden sie von
Martina Küstner und Lara Monczka,
ihren Betreuerinnen der Tagesförder-
stätte des ASB Bremen, einer Einrich-
tung für Menschen mit schwersten
Behinderungen. Am Markt steigt die
kleine Gruppe aus und gelangt nach
ein paar Schritten zu einem großen
Fahrradladen. In dessen Werkstatt
schraubt ein Mitarbeiter gerade an
einem defekten Rad und winkt zur
Begrüßung. Aber das reicht Simone
Stein nicht. Die 23-Jährige möch-
te das Begrüßungsritual. „Komm“,
fordert sie den Mitarbeiter auf. Der
lacht, verlässt sein Rad, reicht Simo-
ne Stein die Hand und klopft ihr auf
die Schulter: „Mensch, Simone, du
bist unser bestes Pferd im Stall.“ Da-
nach meint er kollegial an alle ge-
wandt: „Ihr wisst ja, wo es langgeht.“
Wie ausgewechselt
Die Gruppe erreicht den Hinterhof,
wo heute viel Arbeit auf sie wartet.
Zehn große Fahrradkartons müssen
entsorgt werden. Da die fünf jede
Woche im Fahrradladen helfen, sind
die Abläufe eingespielt: Julia Del-
menhorst schließt den Altpapier-
container auf, Heilerzieherin Lara
Monczka verteilt die Teppichmesser
an Delmenhorst und ihre Kollegin.
Dann werden die Fahrradkartons
zerschnitten und mithilfe aller in
den Container geschoben. Die Grup-
pe arbeitet eine Stunde lang sehr
konzentriert. Die Arbeit ist anstren-
gend und alle kommen ins Schwit-
zen. Umso größer ist die Freude, als
auch das letzte Stückchen Altpapier
im Container verschwunden ist.
„Juhu“, ruft Stein und schließt den
Container ab.
Die beiden Betreuerinnen staunen
immer wieder, wie ausgewechselt die
Besucher der Tagesförderstätte au-
ßerhalb der Einrichtung sind. „Si-
mone ist hier zum Beispiel zufrieden
und trotz ihrer Lernschwierigkeiten
sehr konzentriert bei der Sache. In
der Tagesförderstätte hingegen lang-
weilt sie sich schnell und ärgert dann
die anderen Besucher oder versteckt
Gegenstände“, berichtet Martina
Küstner. Der 21-jährigen Julia Del-
menhorst, die das Asperger-Syndrom
hat, tut die Arbeit ebenfalls gut, da
sie ihre vielen Fähigkeiten einsetzen
kann. Gefordert ist auch Anand Bon-
dhi. Der 22-Jährige bewegt sich nicht
gerne; hier aber muss er immer wie-
der mitanpacken.
Im Laden gibt es noch eine kleine
Aufgabe zu erledigen: Adressetiketten
sollen auf Fahrradkataloge geklebt
werden. Inhaber Hans-Peter Jakst ge-
sellt sich zur Gruppe und hilft Simo-
ne Stein, die eine so feinmotorische
Arbeit nicht alleine schafft und die
Aufkleber schräg klebt. Der ehema-
lige Rad-Profi und Deutsche Meister
im Straßenrennen kooperiert gerne
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HILFE FÜR MENSCHEN MIT BEHINDERUNG
*Namen von der Redaktion geändert.
Bei der Arbeit
Menschen mit schwerer Behinderung
nehmen am Arbeitsleben teil
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt die
Gruppe zu ihrem Arbeitsplatz: V. l. n .r.
Julia Delmenhorst, Simone Stein und
Betreuerin Lara Monczka.