

Herr Seidl, warum ist das BTHG nötig?
Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) ist ein wichtiger
Schritt, um die Menschenrechte, wie sie in der UN-Be-
hindertenrechtskonvention verankert sind, umzusetzen.
Außerdem sollen mehr Selbstbestimmung und Teilhabe
am gesellschaftlichen Leben für Menschen mit Behin-
derung ermöglicht werden. Damit einher geht auch die
Reform des Eingliederungshilferechts – die Eingliede-
rungshilfe wird aus der bisherigen Sozialhilfe, d.h. aus
dem klassischen Fürsorgerecht, herausgelöst.
Nicht jeder wertet das Gesetz als Erfolg. Wie ist Ihre
Einschätzung?
Grundsätzlich – und trotz vieler Kritikpunkte – begrüße
ich das BTHG. Es ist der richtige Weg zu mehr Inklu-
sion. Nach dem Referentenentwurf konnten durch den
breiten Protest der Verbände und Organisationen Verbes-
serungen im Gesetz erreicht werden. So sind die Leistun-
gen der Eingliederungshilfe gegenüber den Leistungen
der Pflege gleichrangig und die Einschränkung zum Zu-
gang zu den Leistungen der Eingliederungshilfe (die so-
genannte 5-von-9-Regelung) wird nicht umgesetzt.
Jetzt geht es darum, mithilfe noch zu gestaltender Rah-
menvereinbarungen die Umsetzung von selbstbestimmter
Teilhabe konkret einzufordern.
Was kritisieren Sie?
Das Wunsch- und Wahlrecht wurde kaum verbessert.
Der Kostenvorbehalt des Kostenträgers bleibt, wodurch
besonders Menschen mit einer schwerstmehrfachen Be-
hinderung benachteiligt sind. Kritisch zu betrachten ist
auch das vorgesehene Poolen von Leistungen, auch wenn
es Ausnahmen für die Gestaltung sozialer Beziehungen
und der persönlichen Lebensplanung gibt. Es ist weiter-
hin keine volle Einkommens- und Vermögensunabhän-
gigkeit vorgesehen und Menschen, die das sogenannte
Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit nicht
erbringen können, bleibt die Aufnahme in die Werkstatt
für behinderte Menschen (WfbM) und damit die Teil-
habe am Arbeitsleben und berufliche Bildung verwehrt.
Bei aller Kritik: Das Gesetz ist ein erster wichtiger
Schritt zu mehr Teilhabe und Selbstbestimmung für
Menschen mit Behinderung. Fast 900.000 Menschen
sind derzeit auf Leistungen der Eingliederungshilfe ange-
wiesen. Die wirkliche Bedeutung des Gesetzes wird sich
aber erst in den nächsten Jahren zeigen, wenn das Gesetz
schrittweise umgesetzt wird. Wir müssen uns wohl auf
große Veränderungen und Unsicherheiten einstellen.
Foto: ASB/F. Zanettini
DAS BUNDESTEILHABEGESETZ – FORTSCHRITT ODER
RÜCKSCHRITT FÜR MENSCHEN MIT BEHINDERUNG?
Das Bundesteilhabegesetz wurde am 16. Dezember 2016 verabschiedet. Die ersten Änderungen
traten am 30. Dezember 2016 in Kraft. Konrad Seidl, Leiter des Bereichs Wohnstätten im ASB
Bremen, sprach mit uns über Stärken und Schwächen des Gesetzes.
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ASB-Jahrbuch 2016